Gerechtigkeit statt Almosen
„Der Faire Handel muss Standard werden“, sagte Gunther Beger, Abteilungsleiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bei der Auftaktveranstaltung der Fairen Woche 2020. Hinter dieser Forderung steht die Erkenntnis, dass der Faire Handel in seiner 50-jährigen Geschichte zentrale Herausforderungen der Menschheit erkannt und Instrumente zu deren Überwindung entwickelt hat.
Dabei besteht der Ansatz des Fairen Handels nicht darin, den Handelspartnern im Globalen Süden zu helfen. Vielmehr sollen sie durch partnerschaftlichen Handel in die Lage versetzt werden, aus eigener Kraft ihre Organisationen zu stärken und die Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter*innen zu verbessern.
Eure Almosen könnt Ihr behalten, wenn Ihr gerechte Preise zahlt.
Große Ziele und konkrete Schritte
Mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und der Schutz der Umwelt sind die zentralen Anliegen des Fairen Handels, die sich wie ein roter Faden durch seine Geschichte ziehen.
Schon 1978 wies die sehr erfolgreiche Aktion „Jute statt Plastik“ auf die Verschwendung von Rohstoffen und die Müllproblematik durch wachsenden Plastikkonsum hin - angesichts der Vermüllung der Weltmeere mit Plastik ein Thema von brennender Aktualität.
1987 haben Organisation des Fairen Handels den ersten Biotee weltweit auf den Markt gebracht, der über die Weltläden verkauft wurde. Heute sind rund 70 % der fair gehandelten Lebensmittel bio.
Um Produzent*innen höhere Einkommen zu ermöglichen, setzt der Faire Handel schon lange darauf, die Wertschöpfung in den Erzeugerländern zu erhöhen. Durch Investitionen in die Infrastruktur sowie Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen versetzen sie Produzentenorganisationen in die Lage, Rohprodukte bis in zum fertigen Produkt zu veredeln. Der Erlös für die Frauen-Kaffeekooperative APROLMA in Honduras liegt so etwa dreimal so hoch wie beim Export von unverarbeitetem Rohkaffee zu Weltmarktpreisen.
Neben der konkreten Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Produzent*innen nimmt der Faire Handel auch die politischen Rahmenbedingungen in den Blick. Er fordert gerechtere Regeln für den internationalen Handel ein, wie zum Beispiel im Rahmen der Initiative für ein Lieferkettengesetz, das derzeit von der Bundesregierung verhandelt wird. Es würde Unternehmen verpflichten, für Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltstandards entlang ihrer Lieferketten zu haften.
45 Jahre nach seiner Gründung - im Jahr 2015 - verabschiedeten die Vereinten Nationen die 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele, die zentrale Herausforderungen der Menschheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts benennen. Zu vielen dieser Ziele - keine Armut, Geschlechtergerechtigkeit, menschenwürdige Arbeit, nachhaltige Produktions- und Konsummuster - verfügt der Faire Handel über langjährige Expertise und erprobte Instrumente.
Sowohl mit dem Verkauf fair gehandelter Produkte als auch im Rahmen seiner Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit und seiner politischen Kampagnen rückt der Faire Handel diese Themen in den Blick der Gesellschaft. Er fordert politische Veränderungen, schafft Handlungsoptionen für Bürger*innen und sorgt für konkrete Verbesserungen für seine Handelspartner. Weltläden gehörten zu Beginn der 1970er Jahre zu den Pionieren des Fairen Handels – heute setzen sich bundesweit mehr als 900 Weltläden für mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel ein.
Neue und alte Herausforderungen
Doch auch der Faire Handel steht vor großen Herausforderungen und kann seinen hohen Anspruch, menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen, nur zum Teil umsetzen. So ist zum Beispiel das Ziel, existenzsichernde Löhne zu bezahlen, noch nicht flächendeckend erreicht. Der fortschreitende Klimawandel und natürlich die Corona-Pandemie drohen, bereits erreichte Erfolge wieder zunichtezumachen und erfordern verstärkte Anstrengungen aller Partner.
Dennoch kann der Faire Handel zurecht als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Allein in Deutschland beträgt der Umsatz mit fair gehandelten Produkten mittlerweile knapp zwei Mrd. Euro. Weltweit profitieren rund 2,5 Mio. Menschen und ihre Familien von den Leistungen des Fairen Handels. Und mit etwa 100.000 Aktiven bundesweit ist der Faire Handel eine starke Bewegung, die sich mit drängenden Fragen unserer Zeit beschäftigt und Handlungsoptionen anbietet.
In der Zeit, in der der Faire Handel das 50. Jahr seines Bestehens feiert, führt uns die Corona-Pandemie deutlich vor Augen, dass unser Wirtschaftssystem an seine Grenzen stößt. Produktion und Konsum brauchen andere Regeln, die das Gemeinwohl und nicht den Profit für Wenige in den Fokus rücken. Der Faire Handel zeigt seit 50 Jahren, wie solidarisches Wirtschaften für Mensch und Natur gelingen kann.
Zeitleiste „Die Fair-Handels-Bewegung: von den Anfängen bis heute“
Der Weltladen-Dachverband hat die Geschichte des Fairen Handels von 1946 bis heute in der interaktiven Zeitleiste „Die Fair-Handels-Bewegung: von den Anfängen bis heute“ visualisiert. Sie enthält Bilder, Erklärungen und Videos zu einzelnen Ereignissen sowie Verlinkungen zu weiterführenden Quellen. Darüber hinaus enthält die neue Bildungssäule des Weltladen-Dachverbandes Anleitungen und Konzepte, wie digitale Lernsnacks wie zum Beispiel die Zeitleiste in der Bildungsarbeit angewendet werden können.