Organisation Weltladen
Weltläden haben eine besondere Form der Organisation. Sie sind kein klassisches Unternehmen wie z.B. ein inhaber*innengeführtes Geschäft. Sie sind kein selbstverwalteter Betrieb, in dem gemeinsam ein Einkommen für alle erwirtschaftet wird. Sie sind keine Institution, die Ehrenamtliche an sich bindet, aber das Hauptgeschäft mit Hauptamtlichen bewerkstelligt, wie z.B. viele soziale Verbände.
Selbstorganisation
Weltläden sind selbstorganisierte Projekte, die gleichzeitig ein Unternehmen/Geschäft führen, ohne jedoch Einkommen für die Mitarbeiter*innen zu erwirtschaften. Sie werden überwiegend von Vereinen getragen und ehrenamtlich betrieben. Diese besondere Organisationsform der Weltläden prägt ihre Organisationsstrukturen und ihre Organisationskultur. Davon hängt ab, wie die Arbeit organisiert ist und wer welche Entscheidungen treffen darf. Die Struktur bestimmt somit auch, wer welche Rolle hat, wo Leitung angesiedelt ist, wer das Mandat für bestimmte Entscheidungen, Anweisungen usw. hat, wie Führungsaufgaben legitimiert sind und welche Rolle die Mitarbeitenden spielen.
Organisationen vs. Organisation
- Organisationen sind soziale, zeitlich relativ stabile Systeme, die aus Individuen bestehen, welche gemeinsame Ziele verfolgen.
- Organisation regelt die Verteilung von Aufgaben und Kompetenzen sowie die Abwicklung von Arbeitsprozessen. Sie organisiert Arbeitsteilung und die Ausrichtung ihrer Mitglieder auf übergeordnete Ziele. Dies bedarf der Kooperation und der Koordination. Ein Merkmal einer gut funktionierenden Organisation ist es, in angemessenen Zeiträumen Entscheidungen herbeizuführen.
Wie Organisationen sich organisieren, um ihr Ziel zu erreichen, ist sehr unterschiedlich und hängt von den Werten der Organisationsmitglieder, der Komplexität und dem Entwicklungsstand der Organisation ab.
Unterschiedliche Organisationsformen sind z.B. Fremdorganisation oder Selbstorganisation mit starken Hierarchien – flachen Hierarchien – keinen Hierarchien.
Dabei entwickeln sich Unternehmen und Institutionen ausgehend von hoher Fremdorganisation mit starken Hierarchien zunehmend hin zu flachen Hierarchien und mehr Selbstorganisation. Weltläden als selbstorganisierte Projekte hingegen stehen zunehmend vor der Aufgabe, einen stärkeren Organisationsgrad zu entwickeln und Hierarchien und Arbeitsteilung einzuführen.
Ordnungsmuster und Organisationsmodelle
Organisationen können anhand von Ordnungsmustern analysiert und in verschiedene Modelle eingeteilt werden.
Hintergrund
Bis in die 1980er Jahre dominierte in Institutionen, Unternehmen, Kirchen usw. ein stark hierarchisches Organisationsmodell und ein autoritäres Führungsverständnis, das auf Machtausübung und einer Kultur der Herrschaft basierte.
Die zunehmende Komplexität der Arbeitswelt und die Demokratisierung der Gesellschaft in Folge der 68er-Bewegung (neue Kritikfähigkeit), aber auch Rationalisierungsprozesse erfordern partizipative Organisationsstrukturen und Führungskonzepte. Hierarchien werden abgeflacht, Team- und Projektarbeit und kooperative Führung halten Einzug in Institutionen und Unternehmen. Zugleich entstehen in den 70er-/80er-Jahren aus den sozialen Bewegungen zahlreiche selbstverwaltete Projekte und Betriebe. Deren Organisationsform ist kollektiv und basisdemokratisch. Sie basieren auf Werten und Zielen wie Gewaltlosigkeit und Herrschaftsfreiheit, individueller und politischer Selbstbestimmung. Es gibt meist keine formale Führung und es wird nach dem Konsensprinzip entschieden. Die Weltladen-Bewegung gründet sich in dieser Zeit und so sind viele Weltläden in ihrem Selbstverständnis und ihrer Organisationsform meist selbstorganisiert und basisdemokratisch.
Entwicklungsphasen von Organisationen
Unterschiedliche Organisationsformen haben aber auch mit den Entwicklungsphasen von Organisationen zu tun. In der Organisationstheorie werden ganze Lebenszyklen von Organisationen in unterschiedlichen Modellen beschrieben. Dabei gibt es eine Gründungs- oder Pionierphase, eine Wachstumsphase, eine Konsolidierungsphase und manchmal auch eine Liquidationsphase. Der Übergang von einer Phase in die nächste ist häufig krisenhaft. Das können Anlässe für Beratung sein.
Die Pionierphase zeichnet sich aus durch Kreativität und Spontaneität. Kommunikation und die Beziehungen untereinander sind in hohem Maße informell. Es gibt kaum Regeln, alle machen alles und alle entscheiden alles. Es gibt also wenig Aufgabenteilung und keine Hierarchie. Das entspricht der Organisationsform vieler Weltläden bis heute – auch 30 Jahre nach ihrer Gründung.
Weltläden haben wenig Anreiz zur Entwicklung oder Veränderung, da sie nicht wirtschaftlich am Markt bestehen müssen. Sie können bleiben wie sie sind und trotzdem weiter bestehen. Es gibt keine Notwendigkeit (oder keine Möglichkeit), den eigenen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Oft muss noch nicht mal eine Miete erwirtschaftet werden, da diese z.B. durch die Kirchengemeinde subventioniert wird. Damit gibt es zunächst auch keinen starken ökonomischen Druck, der Entwicklung erfordert.
Organisationen neigen dazu, sich selbst zu erhalten, auch wenn sie keinen Zweck mehr erfüllen. Das ist oft bei Institutionen der Fall. Dies geht jedoch nicht bei Unternehmen, die auf den Markt angewiesen sind. Da viele Weltläden aufgrund ihrer ehrenamtlichen Struktur nicht vom Markt abhängen, können sie auch überleben, wenn sie keinen Zweck mehr erfüllen und z.B. keine oder nur wenige Kund*innen kommen und sie kaum noch Außenwirkung haben. Weltläden laufen daher schneller Gefahr, dass die Gruppe sich nur noch nach innen richtet, sich mit sich selbst beschäftigt und zum Selbstzweck wird.
Aber nicht nur die fehlende ökonomische Notwendigkeit befördert diese Tendenz, auch die Selbstorganisation unterstützt die Beschäftigung mit sich selbst. Selbstorganisatorische Systeme bilden ein "geschlossenes Ganzes". Die Beteiligten lenken ihre Blicke grundsätzlich ins Innere des Systems. Darüber hinaus kann die permanente Selbstbestimmung und Auseinandersetzung sowie die Übernahme von Verantwortung zur Überforderung der Mitarbeiter*innen führen. Selbstorganisation ist prozessorientiert und braucht Zeit. Die Lösungs- und Entscheidungsfindung in selbstorganisierten Systemen kann länger dauern.
Die zunehmende Modernisierung der Weltläden mit hohen Kosten durch Ladenmieten und mehr bezahlter Arbeit und der Wunsch, am Markt zu bestehen und wirksam zu werden, sowie die Konkurrenz durch die größere Verfügbarkeit von fair gehandelten Waren in Supermärkten etc. schaffen neue ökonomische Zwänge für Weltläden und erhöhen den Druck zu Veränderungen. Der Markt bekommt mehr Gewicht. Die Wünsche der Kund*innen geraten in den Blick.
Quelle
DEAB – Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg e.V. (2010): QualiFair Aufbaukurs Weltladen. Qualifikation für Fach- und Führungskräfte im Fairen Handel. Modul “Personalführung im Weltladen” (Birgit Lieber).