
EU-Lieferkettengesetz nimmt letzte Hürde
Es war ein historischer Beschluss an einem symbolträchtigen Datum: Das EU-Parlament hat am 24. April 2024 für das EU-Lieferkettengesetz gestimmt – ausgerechnet am 11. Jahrestag des bis heute größten Unglücks in der Geschichte der Textilindustrie. Vor 11 Jahren stürzte in Bangladesch der neunstöckige Fabrikkomplex Rana Plaza ein und begrub tausende Menschen unter sich.
1.138 Arbeiterinnen und Arbeiter verloren ihr Leben, mehr als 2.000 Menschen wurden verletzt. Sie hatten hauptsächlich Kleidung für den Export produziert, unter anderem für europäische Modefirmen wie Primark, Benetton, Mango, C&A und KiK. Viele der in Rana Plaza produzierenden Firmen wehrten sich zunächst vehement dagegen, für die Missstände, die zu dem tragischen Unglück geführt hatten, Verantwortung zu übernehmen.
Die Katastrophe von Rana-Plaza ist eine mahnende Erinnerung an die schwerwiegenden Folgen unkontrollierter Unternehmenspraktiken in globalen Wertschöpfungsketten. Denn sie hat gezeigt: Freiwillig halten sich Unternehmen zu selten an ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten.
Deswegen braucht es Gesetze, die sie dazu verpflichten, in ihren Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards hinzuwirken. Nur so können wir verhindern, dass sich Katastrophen wie die von Rana-Plaza wiederholen. Und damit in ganz Europa für alle Unternehmen die gleichen Regeln für alle gelten, brauchen wir nicht nur nationale Regelungen, sondern ein EU-Lieferkettengesetz.

Genau 11 Jahre später, am 24. April 2024, hat das EU-Lieferkettengesetz die entscheidende Hürde genommen: Das Europäische Parlament hat für das Vorhaben gestimmt, auf das sich der Rat im März nach einem langen politischen Tauziehen geeinigt hatte. Nun hat am 24. Mai auch der EU-Rat die Richtlinie final beschlossen und damit steht dem EU-Lieferkettengesetz nichts mehr im Wege.
Sobald die Richtlinie offiziell unterschrieben ist und im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde, beginnt die zweijährige Frist für die Mitgliedstaaten, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Auch das deutsche Lieferkettengesetz muss dann innerhalb von zwei Jahren noch einmal nachgeschärft werden.
Das EU-Lieferkettengesetz ist bei Weitem nicht perfekt und gilt derzeit nur für eine sehr begrenzte Anzahl von Unternehmen. Trotzdem ist es ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einem faireren Wirtschaften weltweit, denn es erkennt an: Unternehmen sind rechtlich dazu verpflichtet, die im Rahmen ihrer Tätigkeit entstehenden negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt zu verhindern, zu minimieren und zu beenden. Außerdem erkennt es an, dass die Opfer solcher Auswirkungen das Recht haben, vor EU-Gerichten Schadenersatz zu verlangen. Dieser Blog-Beitrag vom Forum Fairer Handel fasst die speziellen Erfolge aus Fair-Handels-Sicht kurz zusammen. Und hier gibt es eine 7-seitige Kurz-Analyse der Initiative Lieferkettengesetz.
Rückblick: Ein holpriger Weg für das EU-Lieferkettengesetz
Im Dezember 2023 haben sich die EU-Kommission, das Europäische Parlament und der EU-Rat nach einer langen und intensiven Verhandlungsphase (so genannter „Trilog“) auf die Inhalte für eine solche Regulierung geeinigt. Der beschlossene Kompromiss war ein wichtiger Meilenstein, der jedoch im Anschluss massiv wackelte, weil Deutschland als wichtiges EU-Mitgliedsland seine Unterstützung zurückgezogen hatte.
Eigentlich hätten die notwendigen Abstimmungen im EU-Rat und Europarlament nach Abschluss der Trilog-Phase im Dezember 2023 reine Formsache sein können, da die Inhalte des Gesetzes ja bereits zuvor monatelang intensiv verhandelt worden war. Doch am 15. Januar 2024 veröffentlichte die FDP einen Präsidiumsbeschluss, in dem sie ankündigte, das EU-Lieferkettengesetz stoppen zu wollen. Am 6. Februar 2024 folgte die Nachricht von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), dass die Bundesregierung dem in Brüssel ausgehandelten Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz auf Druck der FDP und großer Wirtschaftsverbände nicht zustimmen wird.
Berichten zufolge hat Bundesminister Christian Linder (FDP) sogar bei anderen EU-Mitgliedsstaaten dafür geworben, sich ebenfalls zu enthalten. Am 28. Februar teilte die Belgische Ratspräsidentschaft dann tatsächlich mit, dass es im entsprechenden Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten keine qualifizierte Mehrheit für den aktuellen Kompromiss zum EU-Lieferkettengesetz gibt. Sie intensivierte daraufhin ihre Bemühungen, unter den Mitgliedsstaaten einen Kompromiss zu finden.
Bitter ist, dass der erzielte Kompromiss auf den letzten Metern abgeschwächt wurde. So werden nun deutlich weniger Unternehmen von dem Gesetz erfasst sein als ursprünglich geplant und es kam auch zu weiteren Einschränkungen bei der zivilrechtlichen Haftung. Eine ausführliche Zusammenfassung hierzu bietet dieser Blog-Beitrag vom Forum Fairer Handel.
Starke Kritik am Verhalten der Bundesregierung
Gemeinsam mit der Initiative Lieferkettengesetz und dem Forum Fairer Handel verurteilt die Weltladen-Bewegung die deutsche Blockade in letzter Minute. Das Verhalten der Bundesregierung schadet dem Ansehen Deutschlands als verlässlicher politischer und wirtschaftlicher Partner in der EU und signalisiert, dass Menschenrechte sowie Klima- und Umweltschutz für die Bundesregierung eine geringe Priorität haben.
Dass die Bundesregierung dem ausgehandelten Gesetz nicht zugestimmt hat, obwohl sie es im vergangenen Jahr auf EU-Ebene ausführlich mit verhandelt hatte, ist aus Sicht der Zivilgesellschaft ein Skandal. Die Bundesregierung stößt damit nicht nur die vielen Unternehmen, die auf ein EU-Lieferkettengesetz gedrängt hatten und schon jetzt auf menschenrechtliche Standards in ihren Lieferketten achten, massiv vor den Kopf – sondern auch alle Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen in den Lieferketten.
Dennoch: Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt für mehr Schutz von Menschenrechten, Umwelt und Klima entlang globaler Lieferketten, für den sich die Weltläden seit vielen Jahren einsetzen. Und Betroffene von Menschenrechtsverletzungen, die von Unternehmen verschuldet werden, haben fortan endlich ein deutlich verbessertes rechtliches Instrument, um Schadensersatz zu erstreiten.
Somit wird die Richtlinie – trotz Abschwächungen – die Situation von vielen Menschen entlang globaler Lieferketten verbessern. Das Gesetz bringt einen EU-weiten Paradigmenwechsel – weg von freiwilliger Selbstkontrolle, hin zu verbindlichen Sorgfaltspflichten. Und das ist ein großer Erfolg.