Die Entwicklung der Weltläden
„Eure Almosen könnt Ihr behalten …
… wenn Ihr gerechte Preise zahlt.“ Dieses Zitat des ehemaligen brasilianischen Erzbischofs Dom Helder Camara ist so etwas wie ein Leitmotiv für die Weltladen-Bewegung. Eine Bewegung, die sich nicht abfindet mit Ungerechtigkeiten im Welthandel und nicht im Protest verharrt, sondern seit nunmehr 50 Jahren aktiv die Welt von morgen mitgestaltet.
Ihren Anfang hat die Geschichte der Weltläden und des Fairen Handels allgemein zu Beginn der 1970er Jahre. In mehreren Ländern protestierten vor allem junge Menschen gegen die wachsende Ungerechtigkeit im Welthandel. An den u.a. von kirchlichen Jugendorganisationen veranstalteten Demonstrationen – den sogenannten Hungermärschen - nahmen alleine in Deutschland mehr als 30.000 Menschen in über 70 Städten teil. Eine neue Bewegung war entstanden.
Die Fair-Handels-Bewegung nimmt Formen an
Doch die Demonstrierenden beließen es nicht bei Protesten. Sie wollten die Welt zum Positiven verändern und gründeten die „Aktion Dritte Welt Handel“. Unter dem Motto „Lernen durch Handeln“ wollten sie zu einem Bewusstsein für die aus ihrer Sicht ungerechten Welthandelsbedingungen in der Gesellschaft beitragen. Gleichzeitig boten in immer mehr Städten Aktionsgruppen fair gehandelte Produkte auf Märkten und nach Gottesdiensten an. 1973 entstand der bundesweit erste „Dritte Welt Laden“ in Stuttgart.
Die Zahl der Weltläden wuchs schnell. 1978 existierten bereits 40 Weltläden bzw. Dritte oder Eine Welt Läden, 1985 etwa 200. Nach der deutschen Wiedervereinigung entstanden auch in den neuen Bundesländern in recht kurzer Zeit rund 100 Weltläden. Heute engagieren sich etwa 100.000 Menschen in mehr als 900 Weltläden und mehreren tausend Fair-Handels-Gruppen.
Schon 1975 kam die Idee auf, sich in einer Arbeitsgemeinschaft zusammenzuschließen, die als Gesellschafter bei den entstehenden Import-Organisationen des Fairen Handels Einfluss auf deren Politik nehmen und bessere Konditionen für die Weltläden heraushandeln sollte. Im April 1975 wurde so die Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt Läden e.V. gegründet, die Vorgängerorganisation des heutigen Weltladen-Dachverband e.V.
Dr. Horst Köhler, Bundespräsident a.D., erinnerte sich an seine Zeit im Weltladen Stuttgart-Herrenberg:
„… Als wir damals in Herrenberg mit engagierten Freunden und Mitstreitern den, wie wir damals sagten, „Dritte-Welt-Laden“ gründeten, da waren wir eine kleine Gruppe und konnten nicht ahnen, dass die Bewegung anhalten und immer mehr Befürworter und Begeisterte finden würde.
Schon bald war uns klar, dass wir uns, um der Sache mehr Gewicht zu geben, mit Gleichgesinnten vernetzen müssten – und so gehörte der Verein in Herrenberg, dessen zweiter Vorsitzender ich damals war, zu den Gründungsmitgliedern des Weltladen-Dachverbandes. Das waren damals ganze acht Weltläden. Aber immerhin: Eine lange Strecke beginnt man mit dem ersten Schritt.
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Wir können alle stolz darauf sein, dass die Idee lebendig geblieben ist. Inzwischen gibt es allein in Deutschland 800 Weltläden und in Europa 3.000. Der Weltladen-Dachverband ist eine Erfolgsgeschichte.
In meinem beruflichen Leben habe ich immer versucht, der Idee der Einen Welt treu zu bleiben, zuletzt als IWF-Präsident und auch jetzt als Bundespräsident. Die Politik kann eine Menge dafür tun, um die Welt gerechter und menschlicher zu machen. Sie kann aber gar nichts tun, wenn die Idee einer gerechten Welt nicht in den Köpfen und Herzen aller, besonders auch der Menschen in den Industrieländern verwurzelt ist. Hier sind die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen ich mich immer noch tief verbunden fühle, unersetzlich. Durch ihre Arbeit, durch ihr Engagement wird nicht nur die Idee des Fairen Handels immer wieder wachgehalten. Durch die vielen Vernetzungen und Kontakte zwischen Menschen aus armen und reichen Ländern werden auch persönliche, menschliche Beziehungen geknüpft, die der Idee der Einen Welt das Abstrakte nehmen und ihr immer wieder neu ein Gesicht, ja viele Gesichter geben.
Ich kann Euch alle nur ermuntern: Macht weiter! Wir brauchen Euer Engagement, Euren Einsatz und Eure Ideen. Die Politik braucht auch Eure Erfahrungen, die Ihr konkret mit den Partnern in den anderen Ländern macht, und sie braucht – gelegentlich – auch Eure Kritik. Die Arbeit der Weltläden in Deutschland und überall bleibt wichtig.
Dem Weltladen-Dachverband gratuliere ich ganz herzlich zum dreißigsten Geburtstag. Viel Mut, Kraft und Durchhaltevermögen wünsche ich allen, die sich in den Dienst dieser wirklichen guten Sache stellen.“
Quelle: Weltladen-Dachverband (2005): Generation Weltladen. 30 Jahre Weltladenbewegung in Deutschland.
Gründung der Importorganisationen
Um den Bezug der Waren zu erleichtern, gründeten sich ebenfalls Mitte der 1970er Jahre die ersten Importorganisationen. GEPA, El Puente und Globo waren unter den ersten - sie gehören noch heute zu den größten Fair-Handels-Unternehmen in Deutschland. Mittlerweile gibt es rund 90 anerkannte Lieferanten, die die Weltläden in Deutschland beliefern. Die ersten Produkte des Fairen Handels waren übrigens Handwerksartikel. 1973 hielt mit dem sogenannten Indio-Kaffee das erste Lebensmittel Einzug in die Weltläden.
Erfolgreiche Informationskampagnen, stagnierende Umsätze
Der Fair-Handels-Bewegung ging es von Anfang an nicht nur darum, durch den Handel konkrete Verbesserungen für die Produzierenden zu erzielen. Mit Hilfe von Informationskampagnen wollten die Akteure damals wie heute eine breite Öffentlichkeit erreichen. Mit Erfolg: Der Name der Kampagne „Jute statt Plastik“ von 1976 wurde zum Slogan einer Generation von Menschen, die die Welt verbessern wollten, und ist auch heute noch vielen Menschen ein Begriff. Mehr als 5 Mio. Jutetaschen haben Frauen in Bangladesch für den deutschen Markt produziert – sie dienten bis in die 1990er Jahre vielen weiteren Bewegungen als Träger ihrer Forderungen, von „Südafrikas Zukunft ist schwarz“ über „Atomkraft – nein danke!“ bis hin zu „Frieden schaffen ohne Waffen“. Ein Original-Exemplar hängt sogar im Haus der Geschichte in Bonn.
Der Weg in die Supermärkte
Die Umsatzentwicklung konnte mit den erfolgreichen Informationskampagnen nicht mithalten. Ende der 1980er Jahre wurden die Forderungen der Produzentengruppen nach größeren Absatzmengen lauter und die Fair-Handels-Unternehmen überlegten, wie sich eine Handelsausweitung erreichen lassen könnte. Die Folge war, dass einige Fair-Handels-Unternehmen ihre Produkte nun auch in Bioläden sowie im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel anboten und damit deutlich mehr Verbraucherinnen und Verbraucher erreichen konnten.
Die Gründung von TransFair im Jahr 1992 machte es auch konventionellen Unternehmen möglich, fair gehandelte Produkte auf den Markt zu bringen und als solche zu kennzeichnen. Auch wenn sich die Zahl der so angebotenen Produkte zunächst auf einige Lebensmittel beschränkte konnte durch die große Zahl der Verkaufsstellen eine deutliche Umsatzausweitung erzielt werden.
NEWS! und WFTO – europaweite und globale Vernetzung
Auch in anderen Ländern schritt die Entwicklung des Fairen Handels voran und die Akteure vernetzten sich, um ihre Kräfte zu bündeln und voneinander zu lernen. So schlossen sich die rund 2.500 europäischen Weltläden 1994 im Network of European Worldshops, kurz NEWS! zusammen. Ab 1996 organisierte NEWS! jedes Jahr im Mai den Europäischen Weltladentag – den politischen Aktionstag der europäischen Weltläden. NEWS! ist 2008 in der World Fair Trade Organization aufgegangen – einem weltweiten Netzwerk von mehr als 300 Fair-Handels-Akteuren, die sich zu 100 % dem Fairen Handel verschrieben haben.
Ein wichtiges Ergebnis der globalen Zusammenarbeit ist auch die Verständigung auf eine gemeinsame Definition dessen, was die verschiedenen Organisationen unter „Fairem Handel“ verstehen. Sie wurde 2001 verabschiedet:
„Der Faire Handel ist eine Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruht und nach mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel strebt. Durch bessere Handelsbedingungen und die Sicherung sozialer Rechte für benachteiligte Produzent/innen und Arbeiter/innen – insbesondere in den Ländern des Südens – leistet der Faire Handel einen Beitrag zu nachhaltiger Entwicklung. Fair-Handels-Organisationen engagieren sich (gemeinsam mit Verbraucher/innen) für die Unterstützung der Produzent/innen, die Bewusstseinsbildung sowie die Kampagnenarbeit zur Veränderung der Regeln und der Praxis des konventionellen Welthandels.“
Auch die gemeinsame Trägerschaft des europäischen Lobbybüros für Fairen Handel in Brüssel (Fair Trade Advocacy Office) durch Fairtrade International und die WFTO ist Ausdruck der engen Zusammenarbeit der verschiedenen Fair-Handels-Organisationen.
Vieles wurde erreicht – viel mehr bleibt noch zu tun
Die Entwicklung des Fairen Handels ist eine Erfolgsgeschichte. Der Umsatz mit fair gehandelten Produkten betrug im Jahr 2021 rund 1,9 Mrd. Euro, mit ca. 100.000 Engagierten ist der Faire Handel eine starke, zivilgesellschaftliche Bewegung und die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht – eine zentrale Forderung der Weltläden der letzten Jahre.
Doch trotz aller Erfolge bleibt noch viel zu tun – sowohl, um die Regeln des Welthandels gerechter zu gestalten und für die Handelspartner im Süden menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Aber auch, um im Norden den Aufbau einer solidarischen Gesellschaft zu befördern, in der das soziale Miteinander und die ökologische Nachhaltigkeit zentrale Werte sind. Gemeinsam mit ihren vielen Partnern können die Weltläden eine große Wirkung entfalten.
Zeitleiste zur Geschichte des Fairen Handels
Wichtige Meilensteine der Geschichte des Fairen Handels zeigt die Zeitleiste, die der Weltladen-Dachverband zusammengestellt hat.