Die Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan knapp zwei Wochen nach dem Brand
The Express Tribune/A. Mir
Kundenmagazin Sommer 2020

Lieferkettengesetz jetzt: Fairer Handel darf nicht die Ausnahme sein

Die Corona-Krise führt uns vor Augen, wie vernetzt unsere Welt ist. Unsere Alltagsprodukte – seien es Südfrüchte, Textilien oder elektronische Geräte – haben oft einen langen und verzweigten Herstellungsweg hinter sich. Globale Lieferketten sind intransparent und von ungleicher Machtverteilung und Preiskampf geprägt.

Die Krise wird starke wirtschaftliche Auswirkungen auf uns alle haben. Doch am Anfang des Herstellungsweges stehen häufig Produzent* innen und Kleinbäuer*innen in den Ländern des Globalen Südens, deren Staaten sich keine milliardenschweren Rettungspakete leisten können. Diese Bevölkerungsgruppen trifft die Krise besonders hart und unvermittelt, weil sie sich oft in informellen Arbeitsverhältnissen befinden, nicht von einer Sozialversicherung aufgefangen werden und auch die Gesundheitsversorgung oft unzureichend ist.

Zum Beispiel mussten Arbeiter*innen am Anfang der textilen Lieferkette um ihre Existenz fürchten, weil die Nachfrage aus europäischen Ländern und den USA ausblieb und Aufträge storniert wurden. So wurden in der internationalen Textilindustrie viele Arbeiter*innen ohne Abfindung entlassen, weil die Produktionsfirmen den Lohn nicht mehr zahlen konnten [1].

Der Weltmarktpreis für Kakao ist im Frühjahr 2020 innerhalb weniger Wochen um 30 Prozent gesunken. Wie sollen die Kakaobäuer* innen in Westafrika die hohen finanziellen Verluste vor dem Hintergrund schon vorher zu niedriger Kakaopreise ausgleichen [2]?

Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten

Die aktuelle Krise zeigt leider nur allzu deutlich, was bereits bekannt war: Die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in der Weltwirtschaft ist noch keine Selbstverständlichkeit. Es ist höchste Zeit, dass Unternehmen mehr Verantwortung für die Bedingungen entlang ihrer Lieferketten übernehmen.

Immer wieder kommt es zu Menschenrechtsverletzungen entlang globaler Lieferketten, an denen auch deutsche Unternehmen direkt oder indirekt beteiligt sind oder wovon sie profitieren. Im September 2012 starben 258 Arbeiter*innen aufgrund mangelnden Brandschutzes bei einem Feuer in der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan. Das deutsche Textilunternehmen KiK war 2011 einer der wichtigsten Kunden der Fabrik. Die Aufklärung des Falls zeigte, dass KiK die Situation vor Ort kannte. Trotzdem gab es für KiK keine rechtlichen Konsequenzen [3].

Und wie sieht es mit der Verantwortung deutscher Schokoladenproduzenten für die Arbeitsbedingungen im Kakaosektor aus? Es ist öffentlich bekannt, dass etwa zwei Millionen Kinder auf westafrikanischen Kakaoplantagen unter ausbeuterischen Bedingungen, wie schwerer körperlicher Arbeit oder mangelndem Schutz vor Pestiziden, arbeiten. Zwar haben sich die Schokoladenhersteller in der Vergangenheit aktiv gegen Kinderarbeit ausgesprochen, zum Beispiel im Rahmen des „Harkin-Engel-Protokoll“. Doch bis heute wurde das darin genannte Ziel, bis zum Jahr 2005 ausbeuterische Kinderarbeit zu beenden, nicht erreicht. Auch das neue Ziel, die ausbeuterische Kinderarbeit um 70 Prozent bis 2020 zu reduzieren, wird voraussichtlich nicht erreicht [4]. Dies zeigt, dass freiwillige Maßnahmen oft nicht ausreichen.

Ein wirksames Lieferkettengesetz ist nötig!

Deutsche Unternehmen werden bisher für die Menschen- und Arbeitsrechts-verletzungen, die mit ihren globalen Geschäftstätigkeiten in Verbindung stehen, nicht zur Rechenschaft gezogen. Deutschland braucht daher endlich ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, auch im Ausland, Menschenrechte und Umweltstandards zu achten.

90 Organisationen, darunter auch der Weltladen-Dachverband und das Forum Fairer Handel, setzen sich im Rahmen der Initiative Lieferkettengesetz dafür ein, dass bis 2021 ein solches Gesetz in Deutschland eingeführt wird. Doch was muss ein wirksames Lieferkettengesetz beinhalten? Das hat die Initiative Lieferkettengesetz zusammen mit Rechtsanwälten erarbeitet [5]:

Ein Gesetz muss Unternehmen verpflichten, entlang der gesamten Lieferkette Sorgfalt walten zu lassen. Das bedeutet, dass Unternehmen die Auswirkungen ihrer Geschäfte auf die international anerkannten Menschenrechte, Arbeitsrechte und die Umwelt in einer Risikoanalyse ermitteln müssen. Um Risiken zu verhindern und Missstände zu beheben sind sie angehalten, wirksame Maßnahmen zu ergreifen - immer entsprechend der Unternehmensgröße, der Schwere der drohenden Menschenrechtsverletzung und des Umweltschadens. Dass sie ihre Sorgfaltspflicht einhalten, müssen Unternehmen dokumentieren und in regelmäßigen Abständen in einem Sorgfaltsplan öffentlich darüber berichten. Gehen Unternehmen ihren Pflichten nicht nach, müssen von einer öffentlichen Behörde Sanktionen wie etwa Bußgelder verhängt werden dürfen. Darüber hinaus müssen Unternehmen zugängliche Beschwerdemechanismen einrichten und im Schadensfall Entschädigungen zahlen. Außerdem muss die Möglichkeit für Betroffene im Ausland bestehen, vor deutschen Gerichten Schadensersatz von Unternehmen einzuklagen [6].

Ein wirksames Lieferkettengesetz muss den direkten Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen anerkennen. Umweltschäden, die aus wirtschaftlichen Tätigkeiten entstehen, gefährden oftmals auch grundlegende Menschenrechte, wie zum Beispiel durch Ölpalmenanbau gerodeter Wald oder verschmutztes Wasser [7].

Ein Lieferkettengesetz muss alle Unternehmen erfassen, die einen Sitz in Deutschland haben oder regelmäßig Produkte nach Deutschland einführen. Das muss für große Unternehmen genauso gelten, wie für kleine Unternehmen aus Sektoren mit großen Menschenrechtsrisiken – etwa der Textilbranche, Auto- oder Chemieindustrie [6]. Doch ist ein so gestaltetes Lieferkettengesetz überhaupt praktisch umsetzbar?

Der Faire Handel zeigt, dass es möglich ist

Fair-Handels-Unternehmen stellen seit 50 Jahren unter Beweis, wie Lieferketten wirtschaftlich, sozial und ökologisch nachhaltiger gestaltet werden können. Über all die Jahre haben sie verschiedene Instrumente eingeführt und weiterentwickelt, um die Fair-Handels-Kriterien entlang der Lieferkette zu überprüfen. Gemeinsame Basis sind meist die zehn Kriterien der World Fair Trade Organization (WFTO) [8]. Zu diesen Grundsätzen gehören sowohl soziale Kriterien, die sich auch in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen finden, als auch Umweltkriterien. Mit dem „Fair Trade Accountability Watch“ der WFTO gibt es einen globalen Beschwerdemechanismus, der es Außenstehenden und Betroffenen ermöglicht, Missstände anonym anzuzeigen.

Gerade auch in der Corona-Krise zeigt sich, dass Fair-Handels-Unternehmen den Menschen und nicht den Profit in den Mittelpunkt ihrer Geschäftstätigkeiten stellen. Solidarität ist die Leitlinie, nach der sie handeln. So wurden Aufträge nicht storniert, umgehend gemeinsam nach Alternativen gesucht und soweit möglich Vorauszahlungen ausgeweitet [9].

Es gibt eine bewegte öffentliche Debatte rund um ein mögliches Lieferkettengesetz. Mehr als 50 Unternehmen [10] und 101 Investment-Firmen [11] unterstützen öffentlich eine gesetzliche Regelung und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller kündigten an, Eckpunkte für ein solches Gesetz zu erarbeiten. Die Weltläden setzen sich zusammen mit der Initiative Lieferkettengesetz weiter dafür ein, dass alle Unternehmen Menschenrechte und Umweltstandards achten. Sie sind nicht verhandelbar, sondern international vereinbarte Grundrechte, die eingehalten werden müssen – auch oder vor allem in Krisenzeiten.

Sina Jäger  


Zum Weiterlesen

www.weltladen.de/politik-veraendern/initiative-lieferkettengesetz
www.lieferkettengesetz.de

Ein Erklärvideo zum Lieferkettengesetz gibt es hier.


ZUR PERSON

Die Soziologin Sina Jäger kam 2015 durch ein Praktikum und eine daran anschließende ehrenamtliche Mitarbeit in der AG-Kampagnen zum Weltladen-Dachverband. 2020 arbeitete sie hauptamtlich im Bereich „Politische Arbeit und Weltladentag“ und vertrat den Weltladen-Dachverband in die Initiative Lieferkettengesetz hinein.  


Quellen:

[1] Südwind (2020); Human Rights Watch (2020)

[2] INKOTA Netzwerk (2020)

[3] Initiative Lieferkettengesetz (2020): Fallbeispiel Textil

[4] Initiative Lieferkettengesetz (2020): Fallbeispiel Kakao

[5] Initiative Lieferkettengesetz (2020): Rechtsgutachten

[6] Initiative Lieferkettengesetz (2020): Rechtsgutachten

[7] Initiative Lieferkettengesetz (2020): Fallbeispiel Palmöl

[8] WFTO (2018)

[9] Weltladen-Dachverband e.V. (2020)

[10] Business & Human Rights Resource Centre (2020)

[11] Initiative Lieferkettengesetz (2020): Investoren für Lieferkettengesetze

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