
Interview mit Roopa Mehta, Präsidentin der WFTO
Der Faire Handel bietet Lösungen für die globalen Probleme unserer Zeit.
Wieso haben Sie Sasha gegründet?
Wir haben Sasha gegründet, um Einkommensmöglichkeiten für Kunsthandwerker*innen in ländlichen Regionen zu schaffen. Wir möchten sie befähigen, selbstbestimmt ihre Geschäfte zu führen. Um diese Ziele zu erreichen, kombinieren wir traditionelles indisches Textilhandwerk mit modernem Design. Wenn Tradition und Design zusammenkommen, entstehen daraus einzigartige Produkte, die Menschen auf der ganzen Welt in ihrem Alltag nutzen können.
Seit 2019 sind Sie Präsidentin der WFTO, des größten Fair-Handels-Netzwerks der Welt. Wie fühlt es sich an, eine so große internationale Organisation zu leiten?
Ich bin sehr stolz, die Präsidentin so einer starken Organisation zu sein. Aber ich spüre auch die Verantwortung, die dieses Amt mit sich bringt: Als WFTO müssen wir Strategien entwickeln, um auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel reagieren zu können.
Letztlich arbeiten wir daran, dass die Fair-Handels-Bewegung weltweit stärker als relevanter Akteur wahrgenommen wird, und gleichzeitig auch zugänglicher für viele Menschen wird. Uns treibt die Frage an, was wir als Dachverband tun können, um den Fairen Handel zu stärken und weiter voranzubringen. Das ist eine ganz schön große Agenda.
Aber ich bin sehr froh darüber, dass ich in der WFTO viele kompetente Kolleg*innen habe, die mich unterstützen. Ich hoffe, ich kann ihnen und unseren Mitgliedern gerecht werden.
Welchen Einfluss hat die Corona-Krise auf die Produzent*innen des Fairen Handels weltweit?
Diese Krise ist eine große Herausforderung für Produzent*innen. Aber es war eine sehr interessante und motivierende Erfahrung, zu sehen, wie viel Solidarität es innerhalb unserer Bewegung gibt. Unsere Handelspartner haben keine Bestellungen storniert, sondern Geld gesammelt, um Kunsthandwerker* innen in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen. Während der ersten Phase war diese finanzielle Unterstützung eine große Erleichterung.
Jetzt in der zweiten Phase der Krisenbewältigung müssen wir unseren Online-Auftritt stärken. Überall sammeln Kunsthandwerker*innen gerade Erfahrungen damit, ihre Produkte zu fotografieren. Mithilfe dieser Fotos bauen Organisationen wie Sasha Online-Shops auf, in denen Kund*innen ihre Produkte direkt von den Produzent*innen kaufen können. Die WFTO unterstützt ihre Mitglieder dabei, indem sie Online- Fortbildungen zum Internethandel anbietet und auf ihrer Website Links zu den Online-Shops von Fair-Handels-Organisationen auf der ganzen Welt bereitstellt.
Ein weiterer Effekt dieser Krise ist, dass unsere Arbeit viel stärker wertgeschätzt wird. Durch die sozialen Medien fangen die Menschen an, Geschichten über Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Umweltzerstörung zu sehen. Vielen wird jetzt bewusst, was wir unserem Planeten durch unsere Gier angetan haben. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis bei den Menschen nachwirkt und sie in Zukunft öfter zu Produkten aus Fairem Handel greifen.
Was können Produzent* innen, Fair-Handels-Organisationen oder politische Entscheidungsträger*innen tun, damit der Faire Handel in Zukunft weiter wächst?
Das kommt ganz auf die Perspektive an. Die Produzent*innen müssen sicherstellen, dass in ihren Produktionsstätten weiterhin nach den Prinzipien des Fairen Handels gearbeitet wird.
Fair-Handels-Organisationen müssen den Produzent*innen Aufträge beschaffen, damit diese ein kontinuierliches Einkommen haben. Außerdem müssen sie Öffentlichkeitsarbeit machen und dafür sorgen, dass mehr Menschen vom Fairen Handel erfahren. Dabei ist es besonders wichtig, unsere Geschichten auch mit denjenigen zu teilen, die bisher noch nicht regelmäßig Produkte aus Fairem Handel kaufen.
Für Politiker*innen und Regierungen ist es wichtig, dass sie anfangen, weiter zu denken als bis zur eigenen Landesgrenze. Wir haben es mit globalen Problemen zu tun. Die kann man nicht innerhalb einzelner Länder lösen. Politiker*innen müssen anfangen zu verstehen, dass alles, was in einem Teil der Welt passiert, Auswirkungen auf den Rest unseres Planeten hat. Wir brauchen jetzt mehr von ihnen als Lippenbekenntnisse. Es ist Zeit, aktiv Maßnahmen zu ergreifen, um eine bessere Zukunft zu gestalten.
In Deutschland gibt es ca. 900 Weltläden, die Produkte aus Fairem Handel verkaufen. Welche Bedeutung haben sie für die Produzent*innen in Indien und überall auf der Welt?
Wir haben vor 42 Jahren Sasha gegründet und können seitdem mitverfolgen, wie die Weltladen-Bewegung gewachsen ist. Ich würde die Weltläden als Orte beschreiben, in denen die Kund*innen alle Dimensionen des Fairen Handels erleben können: wunderschöne Produkte, Bildungsarbeit und politische Kampagnen.
Unsere gemeinsame Botschaft ist, dass der Faire Handel eine sehr tragfähige Lösung für viele Probleme ist, mit denen wir heute konfrontiert sind. Die Weltläden spielen eine entscheidende Rolle dabei, diese Botschaft zu verbreiten. Mitarbeitende in Weltläden kennen ihre Kund*innen und können mit ihnen direkt ins Gespräch kommen. Sie können die Leute dazu motivieren, selbst Teil der Fair-Handels-Bewegung zu werden und unsere Arbeit bekannter zu machen.
Weltläden sind auch wichtig, um politische Veränderungen zu erreichen. Sie sind die Basis der weltweiten Fair-Handels-Bewegung. Durch ihre lokalen und nationalen Netzwerke haben sie Kontakt zu Politiker*innen und können diese dazu auffordern, sich für die Ziele des Fairen Handels einzusetzen.
Was möchten Sie unseren Leser*innen noch mit auf den Weg geben?
Unterstützt euren lokalen Weltladen und werdet Botschafter*innen des Fairen Handels. Der Faire Handel bietet Lösungen für die globalen Probleme unserer Zeit. Ich bin davon überzeugt, dass er DAS Modell ist, mit dem wir den weltweiten Handel gerechter gestalten können. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass diese Botschaft viel mehr Menschen erreicht.
Das Interview führte Svenja Lambert (Weltladen-Dachverband).