Weltläden der ersten Stunde aus dem Osten der Republik
Viele Menschen versprachen sich in der Wendezeit größere gesellschaftliche Gestaltungsspielräume. Die Weltläden in Halle, Frankfurt (Oder), Nordhausen, Schwerin und Greifswald wurden in dieser Zeit gegründet und gehören zu den Weltläden der ersten Stunde in den neuen Bundesländern.
War der Faire Handel während der Wende in Ostdeutschland bekannt?
Halle: Für die meisten Menschen im Osten Deutschlands war der Faire Handel ganz neu. Allenfalls Leute, die kirchlich engagiert waren, kannten den Fairen Handel von ihren Partnergemeinden in Westdeutschland.
Nordhausen: Anfangs brachten Freund*innen „aus’m Westen“ Kampagnen-Tee und Kaffee mit. Entwicklungspolitische Themen gab es bei uns aber schon Jahre zuvor mit INKOTA [1]. Wir misstrauten den Behauptungen, die DDR sei per se solidarisch. Stattdessen versuchten wir, solidarisch statt ausbeuterisch-kapital(istisch)-gesteuerte Beziehungen mitzugestalten. Eine echte Zusammenarbeit durfte es außerhalb der staatlichen Strukturen allerdings nicht geben.
Was war Ihre Motivation aktiv zu werden?
Frankfurt (Oder): Die Wendezeit war nicht nur von Aufbruch, der Suche nach Veränderung und neuen Möglichkeiten geprägt, sondern auch bald von der Enttäuschung über die schnell wieder verschwindenden gesellschaftlichen Gestaltungsspielräume. Der Weltladen war eine Möglichkeit, Veränderung mitzugestalten.
Greifswald: Es war toll, zu erleben, dass der Faire Handel auf der anderen Seite der Welt wirklich etwas bewirkt, wenn auch im kleinen Rahmen, aber es kommt an. Auch die Möglichkeit der Begegnung mit fernen Ländern und anderen Lebenswelten spielte eine Rolle.
Nordhausen: Eine starke Motivation war die Idee einer gerechten, friedlichen, ausbeutungsfreien Welt, wie sie auch im Bildungskanon der DDR eingebaut war. Die Verlogenheit von Teilen der Ideolog*innen aber führte zu den christlichen Rück- und Wie-Weiter-Fragen und auch dazu, aktiv zu werden, um Gesellschaft sozial, offen und frei zu gestalten.
Wer engagierte sich in den ersten Weltläden?
Frankfurt (Oder): Einige Menschen, die damals hinter den ersten Weltläden standen, waren schon zuvor für internationale Solidarität, Völkerverständigung und globale Gerechtigkeit aktiv. In Frankfurt waren das beispielsweise Personen, die sich für den Austausch mit den in Frankfurt lebenden Menschen aus „sozialistischen Bruderstaaten“ stark machten. Neben Studierenden waren damals, im Unterschied zu Westdeutschland, überwiegend junge Frauen aktiv, die in Vollzeit berufstätig waren.
Halle: Vor allem Studierende waren vom Fairen Handel begeistert und nahmen diesen unkompliziert auf. Aus ihrem Kreise fanden sich viele Unterstützer*innen, die beim Weltladen mitarbeiteten.
Schwerin: Neben den insbesondere jüngeren Frauen (viele davon mitten in der Familienphase), die sich bei uns engagierten, war es in den 90er Jahren vergleichsweise leicht, staatlich geförderte ABM-Stellen (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) einzurichten. In Schwerin waren zwischenzeitlich vier Personen über solche Stellen angestellt. Dadurch wurde vor allem im Bildungsbereich eine große Öffentlichkeitswirksamkeit mit Filmreihen, Ausstellungen, eigener Bibliothek, Theateraufführungen etc. erreicht. Ohne diese Stellen wurde es im neuen Jahrtausend für uns immer schwieriger Bildungsarbeit zu leisten.
Welche Herausforderungen gab es?
Greifswald: Wir mussten in die vielfältigen Aufgaben eines Weltladens erst hineinwachsen. Wir waren selbst in der DDR sozialisiert. Wir wollten zum Beispiel nicht sofort in die Schulen als frühere Orte der Ideologie gehen und von den globalen Problemen und Handlungsmöglichkeiten erzählen. Auch der Verkauf von Produkten war anfangs eine Überwindung. Zu Zeiten der DDR stellte man sich nicht einfach so in die Öffentlichkeit und verkaufte etwas. Langsam haben wir uns diesen Herausforderungen gestellt.
Nordhausen: „Bereichern sich da nicht die Falschen?“ diese Frage schwang oft mit, wenn wir immer wieder erklären mussten, dass nur ein Teil des Produktpreises bei den Partnern im Süden ankommt. Es gab damals noch wenig Nachweismaterial und das setzte westliche Denkmuster voraus. Insgesamt war alles etwas chaotisch, aber charmant. Locker und doch verbindlich. Die fast kollabierte GEPA mit ihrem Lager in Göttingen-Rohringen und später EL PUENTE halfen uns großzügig. Im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsbereichen konnten wir dort auch spüren, dass Leute bereit waren zuzuhören, wie es im Osten war.
Wer kaufte in den Weltläden ein?
Greifswald: Die Kundenkreise waren anfangs stark auf das kirchliche oder studentische Milieu beschränkt. Es war nicht ganz einfach, ein Bewusstsein für den Fairen Handel zu erzeugen. Das war damals noch Neuland. Unter den Hochschulangehörigen war es einfacher, ins Gespräch zu kommen. Viele Familien waren knapp bei Kasse und die Produkte, die wir angeboten haben, waren deutlich teurer, verglichen mit Produkten im Supermarkt.
Welche Geschichten sind besonders im Gedächtnis geblieben?
Halle: Dazu gehören auf jeden Fall die selbst organisierten Veranstaltungen mit Partner*innen und Gästen aus dem Globalen Süden: Musik- und Theaterprojekte, Lesungen afrikanischer Autor*innen, Filmabende und Tanzgruppenauftritte. Die Leute standen Schlange, um da reinzukommen. Die Arbeitsweise in der offenen, bunt zusammengewürfelten Weltladengruppe war unkonventionell und pragmatisch und folgte keiner Ideologie.
Greifswald: Da war zum Beispiel die Warenbeschaffung. Ich erinnere mich noch an einen Ausflug nach Hamburg zum Fair-Handels-Importeur. Wir sind mit dem Trabi durch die fremde Großstadt Stadt gefahren und dabei ganz schön ins Schwitzen geraten.
Frankfurt (Oder): Ganz am Anfang holten wir mit Rucksäcken im Zug aus West-Berlin, was wir bezahlen konnten.
Nordhausen: Da gibt es viele Geschichten! Gleich 1991 beantragten wir im Pfarrkonvent, dass wir nur noch fair gehandelten Kaffee trinken sollten – und erlitt eine Niederlage. Begründung: Wir wollen uns nicht vorschreiben lassen, was wir zu trinken haben und was nicht, schließlich habe schon die SED Jahrzehnte lang den Genuss reglementiert und freie Entscheidungen bevormundet. - Da war nichts zu machen. Oder wie wir Anfang der 90er die Werbekampagne einer Kaffeemarke „kaperten“, indem wir die Leute, die meinten etwas gewonnen zu haben, mit falschen Gutschein ausstatteten, und sie damit ins Leere laufen ließen. So versuchten wir den Menschen, die sich von einer billigen Werbemasche ködern ließen, einen Spiegel vorzuhalten.
Ein kurzes Resümee. Was hat sich in den letzten 30 Jahren getan?
Alle: In 30 Jahren haben die Weltläden Vieles geschaffen, was Wirkung erzeugt hat: Der Kund*innen-Kreis konnte wesentlich ausgeweitet werden, Läden und Angebot sind moderner geworden. Die Weltläden haben die Strukturen für die Eine-Welt-Arbeit vor Ort aufgebaut und sind dort eingebunden. Der Weltladen Halle ist Akteur der Fairtrade- Town Kampagne und hat die Fashion Revolution Week mit angestoßen. Halle ist Einsatzstelle für das Freiwillige Ökologische Jahr (FÖJ) und bietet genau wie Greifswald und Schwerin professionelle Bildungsarbeit an. Und das Weltladen Café in Nordhausen ist ein verlässlicher Ort der Begegnung mit migrantischer Beratung und breitem Bildungsangebot geworden.
Das Interview mit Charlotte Schülzke, Cornelia Schwerin, Irmfried Garbe, Ralph Göttlicher, Marion Feuerstein und Peter Kube führte Wiebke Deeken (Vorstand im Weltladen-Dachverband).
Redaktion: Katja Voss (Weltladen-Dachverband)
[1] INKOTA Netzwerk e.V.: Als Arbeitskreis „Information, Koordination, Tagung“ 1971 von Engagierten der Solidaritätsarbeit in der DDR gegründet.