Zwei Menschen stehen im Weltladen
K. Benkel
Kundenmagazin Frühling 2019

Zu Besuch im „World Shop“ im britischen Reading

Martin Mikhail, Mitbegründer des Zentrums, und Silvia Rizolli, Geschäftsführerin des Weltladens, erzählen uns von diesem besonderen Ort.

Eure Organisation heißt Reading International Solidarity Centre, kurz RISC. Das klingt nach „riskieren“ – was kam zuerst: der Name oder das Akronym?

Mikhail: Der eigentliche Name ist World Education Berkshire (WEB). WEB agiert als Dachverband für alle Aktivitäten, die im Zentrum stattfinden, aber wir benutzen ihn eigentlich nur in formellen Angelegenheiten, wie Abrechnungen, Antragstellungen usw. Der Name des Gebäudes, in dem das Zentrum ist, läuft quasi unter dem Namen Reading International Solidarity Centre “RISC”. Bevor wir vor 22 Jahren hierherzogen, waren wir zwar auch bekannt als “RISC”, damals stand es allerdings für “Reading International Support Centre”. Heute stehen hinter RISC auch zahlreiche Projekte wie Food4Families, der Weltladen und das Café.

Was zeichnet das Solidaritätszentrum aus?

Mikhail: RISC ist ein zentraler Ort der Vernetzung und des Globalen Lernens. Wir machen hier entwicklungspolitische Bildungsarbeit, hauptsächlich für Lehrer*innen, haben einen Weltladen, ein Café sowie einen Permakultur-Dachgarten, der für Bildungszwecke genutzt wird. Er versorgt zudem das Café mit frischen Kräutern und kompostiert den Bio-Abfall. Das inhaltlich daran anknüpfende RISC-Projekt Food4Families unterstützt den gemeinschaftlichen Gemüse-Anbau im öffentlichen Raum. Außerdem beherbergt das historische, mit Solarzellen ausgestattete Gebäude noch Büroräume für weitere acht gemeinnützige Vereine und zusätzliche Seminar- und Konferenzräume zur Vermietung. Regelmäßige Kultur- und Bildungsveranstaltungen im Haus gehören ebenso zum Programm wie stadtweite Festivals.

Wie schafft Ihr das alles?

Mikhail: Wir sind ein tolles, ganz internationales Team von etwa 30 Angestellten sowie einem zwölfköpfigen Management-Kollektiv: Die Bildungsarbeit leiten drei Personen, ansonsten hat jede Person einen Verantwortungsbereich. Wir haben hier sehr flache Hierarchien. Alle zwölf arbeiten Teilzeit und bekommen das gleiche Gehalt – egal, ob sie erst seit Kurzem dabei sind oder von Anfang an, so wie ich.

Wie hat denn alles angefangen?

Mikhail: Wir haben vor 30 Jahren angefangen, noch bevor der Faire Handel und Nachhaltigkeit „cool“ wurden. Anfangs sind wir mit einem Doppeldecker-Bus durch die Gegend gefahren und haben Workshops an Schulen und in Gemeinden durchgeführt. Damals wie heute ging es in unserer Bildungsarbeit um globale Ungerechtigkeiten – heute nennen wir es vielmehr Global Citizenship – globale Staatsbürgerschaft, um klar zu machen, dass es um unsere eigene Position in der Welt geht sowie um unser eigenes Handeln und welche Auswirkungen es hat. Nach drei Jahren lief unsere Finanzierung allerdings aus. Wir brauchten also zum einen Geld und wollten außerdem mehr Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit, um unsere Zielgruppe erweitern zu können. Also haben wir Ausschau nach einem Laden mit Schaufenster gehalten und ihn gefunden. Inspiriert wurde ich auf einer NEWS Konferenz (Network of European World Shops, „NEWS“, heute Teil der World Fair Trade Organization Europe) in den Niederlanden – jede*r Niederländer*in konnte dir sagen, wo der nächste Weltladen ist und vor allem gab es unglaublich viele Ehrenamtliche, die sich in Weltläden engagierten. Gleichzeitig wurde mir aber auch klar, dass der zunehmende Fokus auf den Handel der niederländischen Weltläden nicht das ist, was wir wollten. Kern sollte immer die Bildungsarbeit bleiben, in der wir das Bewusstsein für globale Ungerechtigkeiten schärfen. Der Laden gibt ergänzend dazu aber eine praktische Handlungsoption. Niemand mag das Gefühl von Machtlosigkeit – der Faire Handel ist da ein gutes Mittel, um auch das Gefühl zu haben, etwas zu tun.
Acht Jahre waren wir in einem kleinen Laden etwas weiter die Straße rauf. Menschen konnten einfach reinkommen und sich informieren. Bald war uns das allerdings zu klein - mit Hilfe eines Darlehens der Triodos Bank schafften wir es schließlich, das Gebäude, in dem wir heute sind, zu kaufen. Das Haus war in einem baufälligen Zustand. Hunderte Freiwillige aus ganz Europa sind nach Reading gekommen, haben im Gebäude gecampt und bei der Renovierung mitgeholfen. Nach zwei bis drei Jahren war es schließlich fertig.

Welche Produkte lassen sich im Weltladen finden?

Rizolli: Wir sind Mitglied im englischen Dachverband der Weltläden BAFTS (British Association for Fair Trade Shops & Suppliers). Das bedeutet für uns, dass wir mindestens 60 Prozent unseres Sortiments von BAFTS Mitgliedsimporteuren beziehen. Ergänzend zu den Produkten aus dem Globalen Süden haben wir viele nachhaltige, alltägliche Produkte wie beispielsweise Bambus-Kaffee-Becher sowie biologische Hygiene- und Reinigungsmittel. Durch die Alltagsprodukte kommen Leute öfter in den Laden. Gerne hätte ich auch mehr Produkte mit einer Kombination aus regionalen und fair gehandelten Zutaten, zum Beispiel Schokolade aus fair gehandeltem Zucker und Kakao sowie regionaler Bio-Milch.

Euer Weltladen wird auch durch ehrenamtliche Arbeit unterstützt. Habt Ihr Schwierigkeiten, neue Ehrenamtliche zu gewinnen?

Rizolli: Wir haben sechs Festangestellte und etwa 20 Ehrenamtliche – ohne die ging es einfach nicht. Schwierigkeiten, neue zu gewinnen, haben wir aber eigentlich nicht. Nicht selten kommen Menschen vorbei und fragen. Ich habe höchstens einen Aushang im Schaufenster. Ehrenamt genießt aber in England auch einen besonderen Stellenwert. Referenzen sind bei der Jobsuche enorm wichtig. Und durch ehrenamtliche Arbeit ist es möglich, sie zu bekommen. Übrigens haben eigentlich alle unsere Festangestellten auch als Ehrenamtliche angefangen. Auch ich. Als ich herzog, habe ich zunächst noch als Flugbegleiterin gearbeitet. Oft war ich arbeiten, wenn andere frei hatten und umgekehrt, da lag es nahe, mir etwas unter der Woche als Nebenbeschäftigung zu suchen. Außerdem war ich in Italien, meiner Heimat, lange Zeit in Weltläden ehrenamtlich tätig. Auch als ich ein Jahr in München wohnte, hatte ich übrigens in einem Weltladen angefragt, die hatten damals jedoch gerade keinen Bedarf an Ehrenamtlichen.

Was ist die größte Herausforderung für den Weltladen?

Rizolli: Menschen verlieren zunehmend das Vertrauen in den Fairen Handel. Im Gegensatz zum „grünen Lifestyle“ ist es schwieriger, Menschen zu überzeugen. Wenn du dich gesund und biologisch ernährst, profitierst du selbst schließlich davon, indem dein Körper gesund bleibt. Bei fair gehandelten Produkten ist das anders – dabei profitieren vielmehr andere davon. Außerdem habe ich das Gefühl, dass das Wissen über den Fairen Handel der meisten Menschen bei Bananen, Kaffee und Tee stehen geblieben ist. Von fair gehandeltem Kunsthandwerk bspw. wissen viele nichts. Wir müssen insgesamt wieder attraktiver werden und den Menschen die Geschichten hinter den Produkten näherbringen. Einige Importeure „liefern“ die Produkthintergrundinformationen auf dem Etikett mit, das ist ideal. Ansonsten versuchen wir, bei den meisten Produkten aus unserem Sortiment kleine Infotafeln anzufertigen.

Hat der Brexit Auswirkungen auf Eure Arbeit?

Mikhail: Der Brexit ist der totale Wahnsinn! Das Pfund hat an Wert verloren und somit sind die Preise erheblich gestiegen. Jetzt ist die Frage – erhöhen wir die Preise und riskieren, dass es niemand mehr kauft oder gleichen wir den Preisunterschied selbst aus.

Das Interview führte die in London lebende Ethnologin Katja Benkel.

Zu den Personen

Martin Mikhail ist Koordinator und Mitbegründer des Zentrums sowie im Vorstand der British Association for Fair Trade Shops & Suppliers (BAFTS), dem Dachverband für Fair-Handels-Geschäfte und -Importeure in Groβ-Britannien. Er ist seit über 30 Jahren engagiert in der Fair-Handels- und Nachhaltigkeitsszene, initiiert ständig neue innovative Projekte im Zentrum und ist ungern auf Fotos.

Silvia Rizzoli ist Geschäftsführerin des Weltladens. Sie kommt aus Nord-Italien und hat dort bereits in Weltläden ehrenamtlich gearbeitet. Nach einem einjährigen Aufenthalt in München zog es sie schließlich nach Reading. Sie liebt die Arbeit im Weltladen und möchte deshalb auch in England bleiben. Brexit hin oder her.

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